Der Wanderer
Es war Abend geworden und der einsame Wanderer hatte sich ein Feuer gemacht.
Die Nacht würde kalt werden. Fröstelnd zog er seinen Mantel fester an sich.
Er hatte schon fast ganz Turr bereist, viele Länder, viele Wesen gesehen und war jetzt auf dem Weg nach Sinulinal, um dort einen neuen Auftrag entgegenzunehmen.
Das Feuer fiel langsam in sich zusammen. Schlafen würde er diese Nacht nicht. Er war erst einmal in Firland gewesen und noch nie so weit in dessen Inneres vorgedrungen. Die Gegend war ihm zu unbekannt, als dass er richtigen Schlaf riskieren konnte.
Je weniger Licht sein Feuer spendete, umso mehr schienen die Felsen um ihn herum zum Leben zu erwachen. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er gesagt, die Steine atmeten.
Er hatte schon fast ganz Turr bereist, viele Länder, viele Wesen gesehen und war jetzt auf dem Weg nach Sinulinal, um dort einen neuen Auftrag entgegenzunehmen.
Das Feuer fiel langsam in sich zusammen. Schlafen würde er diese Nacht nicht. Er war erst einmal in Firland gewesen und noch nie so weit in dessen Inneres vorgedrungen. Die Gegend war ihm zu unbekannt, als dass er richtigen Schlaf riskieren konnte.
Je weniger Licht sein Feuer spendete, umso mehr schienen die Felsen um ihn herum zum Leben zu erwachen. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er gesagt, die Steine atmeten.
Bild: Karl Baer, Menzingen (www.karibaer.ch)
"Ganz Firland ist ein einziger Haufen gottverdammter Steine!" Er musste lächeln, als er an die Wirtin in Luar dachte. Mit ihrer Aussage hatte sie einmal mehr den Kern der Sache erfasst. Hier wuchs außer zwei oder drei Flechten nichts, rein gar nichts. Nicht einmal die Falje hielten es für wert, auf diesem kargen Land zu siedeln. Es wurde zwar von Felsmännern erzählt, die hier leben sollten, aber wer glaubte schon an solche Ammenmärchen?!
Er entspannte sich und wurde immer ruhiger. Bald würde er in jenen Wachschlaf sinken, den er sich im Laufe der Jahre zu eigen gemacht hatte.
Plötzlich stand eine dunkle Gestalt vor ihm. Erschrocken sprang er auf und zog sein Schwert. Warum hatte er sie nicht kommen gehört?!
Der Schatten zeigte keine Regung. Misstrauisch sah er sich um. Waren da noch mehr? Die letzten Reste des erlöschenden Feuers ließen kaum etwas erkennen. Immer noch angespannt konzentrierte er sich wieder auf den schwarzen Schatten vor ihm. Offenbar war sie allein. Ein weiter Mantel und eine tief ins Gesicht gezogene Kapuze bedeckten ihren Körper völlig, aber sie schien eine Elbin oder dergleichen zu sein. Was wollte sie hier, soweit in der Wildnis und noch dazu ohne Begleitung?
Leise trat sie einen Schritt nach vorne. Erst jetzt bemerkte er, wie schlank und hochgewachsen sie war. Sie überragte ihn beinahe um zwei Köpfe, und das, wo er selbst bei seinen Leuten als Riese gegolten hatte! Ein Arm streckte sich aus und entblößte eine kleine weiße Hand, die sich fordernd öffnete.
Verwirrt starrte der Abenteurer zuerst auf die Hand, dann auf den Schleier, der ihr Gesicht verhüllte. Langsam reichte er ihr sein Schwert, den Knauf voran. Fest griffen die zarten Finger zu und drehten die Waffe prüfend hin und her. Die Klinge blitzte in der Glut und ließ an einigen Stellen magische Runen aufleuchten. Stolz erfüllte ihn, der Besitzer eines so mächtigen Schwertes zu sein. Viel Arbeit hatte es ihn gekostet und Mühe. Aber es war gut geworden. Zu gut. Die Gestalt wirbelte das Schwert herum, ließ es durch die Luft sausen und -
Mit schmerzendem Rücken lehnte er am Felsen, die Schwertspitze an seiner Kehle. Er atmete laut und schnell, wütend und beschämt zugleich über seine eigene Unfähigkeit. Wie konnte er nur einer wildfremden Person mitten in der Nacht ohne auch nur einmal nachzudenken seine Waffe überlassen?! Wie oft war er schon durch seine Erfahrung gerettet worden, aber diesmal schien ihn auch der kleinste Funken Verstand verlassen zu haben. Eine der Grundregeln zu missachten! "Ein schönes Schwert, doch in so unvorsichtigen Händen keine sehr nützliche Verteidigung!" flüsterte sie mit spöttischer Stimme.
Er zischte wütend. "Oh, habe ich Euch verärgert?" Sie lachte leise und begann seine Taschen zu durchsuchen. Ein Dolch, mehrere Messer und einige Beutel voller Zauberkräuter wurden auf die andere Seite des Gluthaufens geworfen. Trotz seiner misslichen Lage kam er nicht umhin, ihre Körperbeherrschung zu bewundern. Das einzige, was sich bewegte, war ihr rechter Arm; der linke, der das Schwert hielt, blieb regungslos auf seine entblößte Kehle gerichtet. Allerdings war er davon überzeugt, dass dieser Arm bei einer falschen Bewegung schneller zustoßen konnte als ihm lieb war.
Sie hatte inzwischen alle seine Taschen abgesucht und nun glitten ihre Finger über sein Gesicht. Er konnte ihre Augen sehen, die so blau waren, dass sie schon fast wieder schwarz wirkten. Der Schleier, der den Rest ihres Gesichtes verdeckte, bewegte sich leise unter ihren Atemzügen und ihr Duft kitzelte ihm angenehm in der Nase. Sie ertastete sein Kinn, glitt über die Wangen zu den Ohren und suchte nach seiner Stirn.
"Was wollt Ihr?" keuchte der einsame Wanderer. Schon lange hatte ihn keiner mehr auf diese Art und Weise berührt, aber da war immer noch SEIN verdammtes Schwert an SEINER Kehle!
Sie antwortete nicht, aber ihre Finger schienen gefunden zu haben, wonach sie suchten. Sie lagen genau in der Mitte zwischen seinen Augen, die von den ihren immer mehr in Bann gezogen wurden. Er spürte ihren Herzschlag. Verzweifelt versuchte er den Druck auf seiner Stirn loszuwerden. Er bewegte sich, aber sofort ruckte ihr linker Arm. Die blanke Klinge ritzte seine Haut. Er hielt still, gefangen von seinem Schwert und ihrem Blick.
Der Druck auf seinen Kopf wurde stärker. Diese Augen .... Gebannt starrte er in die blauen Sterne vor ihm.
Urplötzlich zerriss ein oranger Blitz die Spannung und ein kurzer heftiger Schmerz ließ ihn aufschreien. Sie trat zurück, setzte sich neben seine Waffen und sah zu, wie er zu Boden sank, die Hände an die Stirn gepresst.
"Ich hoffe, es tut weh."
Verwirrt und vor Schmerzen immer noch halb betäubt sah er auf. Ein kleiner roter Fleck pulsierte zwischen seinen Augen. Wer war diese Lady, die ihn so ohne weiteres entwaffnet hatte, die ihn, der jahrelang nicht einmal das Wort Schmerz gekannt hatte, laut aufschreien ließ, die ihn übertölpelt hatte wie einen dummen Ork?!
Wütend erhob er sich, stolperte allerdings über eine Mantelfalte und wäre beinahe in das Feuer, das sie inzwischen wieder entzündet hatte, gestürzt.
"WER SEID IHR?"
"Brüllt nicht so. Es ist ohnehin niemand da außer mir, der Euch hören könnte. Und ich habe gute Ohren."
Wie konnte diese Person nur so ruhig bleiben?! Wenn sie dachte, er wäre waffenlos, so täuschte sie sich! Wozu hatte er jahrelang Magie studiert! Er hob den Arm und sammelte seine Kräfte. Gleich würde er wieder sein eigener Herr sein.
Aber etwas stimmte nicht. Sie lachte wieder auf diese leise seltsame Art, wie sie es schon einmal getan hatte. "Gebt Euch keine Mühe. Oder glaubt Ihr etwa, der kleine Zauber vorhin diente nur dazu, Euch Schmerzen zuzufügen? Zugegeben allerdings, ein angenehmer Nebeneffekt, findet Ihr nicht?"
Er starrte sie entsetzt an. Diese Frau hatte ihn nicht nur völlig entwaffnet, sondern auch noch seine Magie gebannt! Er war ihr auf Gedeih und Verderben ausgeliefert!
"Was wollt Ihr?" Die Wut ließ ihn erbeben.
"Setzt Euch." Sein Körper folgte dem leisen Wink der schlanken Hände. Sie griff nach dem Dolch, der neben ihr lag.
"Ein schönes Stück." Ihr Finger glitt die glänzende Schneide entlang und die Drachen auf dem Griff erglühten im Feuerschein.
"Selbstgeschmiedet?"
Widerwillig nickte er. "Ihr versteht etwas von der Metallverarbeitung." Sie sah ihn an. "Der Dolch und das Schwert - beides sind hervorragende Waffen - Mordwaffen."
Sie betonte das letzte Wort auf eine Art und Weise, die ihn aufhorchen ließ.
"Was wollt Ihr damit sagen?"
"Wisst Ihr das denn nicht?" Ihre Stimme war beißend vor Spott.
Er starrte sie an.
"Worauf wollt Ihr hinaus?"
"Vor vielen Tagen bei Sonnenaufgang habt Ihr einen Auftrag zu Ende gebracht. Einen Eurer - wie soll ich sagen - Spezialaufträge? Wisst Ihr nicht mehr, um wen es sich damals gehandelt hat?"
Der einsame Wanderer schwieg.
"Warum sagt Ihr nichts?! Ist der große Raschmiel auf einmal sprachlos geworden?"
Bei der Erwähnung seines Namens zuckte er zusammen. Sie lachte kalt. "Oh ja, ich weiß, wer Ihr seid, ich weiß, was Ihr tut."
Langsam stand sie auf und näherte sich ihm. "Ihr seid der berühmteste Auftragskiller, den ganz Turr je gesehen hat. Ihr habt so viele Wesen auf dem Gewissen, dass nicht einmal Ihr selbst sie noch zu zählen vermögt! Ihr reist von einem Ort zum anderen, wo Geld und Hass noch etwas bedeuten!" Sie holte tief Luft. Ein eisiges Lächeln trat in ihre Augen. Etwas ruhiger fuhr sie fort: "Vielleicht erinnert Ihr Euch nicht mehr an alle Morde, aber an einen solltet Ihr Euch doch noch erinnern. Wisst Ihr, welchen ich meine?"
Innerlich vor Scham und Wut bis zum Zerreißen gespannt, folgte er ihr mit seinen Blicken, als sie sich wieder auf der anderen Seite des Feuers niederließ.
Er würde sie töten, er würde sich von ihrem Bann befreien und sich für die Schande, die sie ihm antat, rächen!
"Nein, natürlich wisst Ihr nicht, wen ich meine. Aber wenn ich seinen Namen sage, so wird dies wohl einige unangenehme Erinnerungen wecken ... Seid Ihr denn gar nicht neugierig?"
Der Mörder schwieg hartnäckig. Er würde kein Wort sagen. Nicht, solange sie es verlangte!
"Rahmiron."
"Wer?!" Erschrocken sprang er auf.
Sie lachte laut heraus. Aber es war ein Lachen, das ihm Angst machte. "Sieh an, Ihr habt offenbar doch ein besseres Gedächtnis als erwartet!"
Der Wanderer ließ sich, zornig über die Blöße, die er sich gegeben hatte und den offensichtlichen Spott der Frau, wieder auf die Felsen sinken. Was bildete sie sich nur ein! "Ja, Rahmiron war schwer zu töten, schwer für einen Sklaven. Das dachtet Ihr doch, nicht wahr?"
"Warum fragt Ihr noch?" Er spürte genau, wie die Fremde in seinem Gedächtnis wühlte, tief verborgene, längst vergessene Dinge zum Vorschein brachte. "Mit Euren Fähigkeiten seid Ihr kein gewöhnliches Wesen! Was habt Ihr mit so einem elenden Sklaven zu schaffen?"
Zornig und unfähig, gegen diese Frau auch nur das geringstes zu unternehmen, trat er gegen einen Kiesel, der vor ihm lag.
Als sie wieder sprach, klang ihre Stimme müde.
"Elender Sklave? So denkt Ihr also? Dabei hätte Euch dieser 'elende Sklave' doch beinahe getötet." Sie betrachtete ihn traurig.
"Ihr wollt wissen, was ich mit ihm zu tun hatte? Nun gut. Wahrscheinlich habt Ihr sogar ein Recht es zu erfahren. Ich war seine Geliebte."
Bei diesen Worten löste sie den Schleier und ließ ihn das ganze Ausmaß ihrer Worte erkennen. Dichtes schwarzes Haar fiel ihr in die Stirn, aber auch es konnte die Tätowierungen um ihre Augen und auf ihren Wangenknochen nicht verbergen.
Raschmiel starrte sie an. Die goldbraunen Tupfer zeugten von allerhöchster Geburt. Nur Königskinder durften diese Farbe tragen. Sie stammte eindeutig aus dem Hause der Mindul, der Herrscher von Klai und sie .... "Ihr wart seine ...."
"Geliebte. Sagt es ruhig." Sie griff wieder nach dem Dolch und betrachtete ihn. "Habt Ihr ihn damit getötet?"
Stumm nickte er.
"Euer Stoß war gut. Direkt ins Herz. Ihr habt ihn überrascht, nehme ich an. Erzählt mir, was damals passiert ist!"
Raschmiel schüttelte den Kopf. "Wozu? Ihr wisst ohnehin schon alles!"
Wütend blitzten ihre seltsamen Augen auf. "Was denkt Ihr, warum ich hier bin?! Glaubt Ihr etwa, Ihr könntet diesen Ort je wieder lebendig verlassen?! Ihr werdet sterben, das verspreche ich Euch! Aber noch bestimmt Ihr, wann ...."
Der Druck in seinem Kopf war urplötzlich wieder da und begann sich in kleinen, heftigen Stichen auszubreiten. "Wartet!" keuchte er, bemüht, sich die Schmerzen nicht anmerken zu lassen. Sie lächelte zufrieden. Er atmete tief durch und schloß die Augen. Er erinnerte sich nicht gerne an seine Morde. Ein einträgliches Geschäft, aber seine Auftraggeber forderten Vergessen und er kam ihren Ansprüchen gerne nach.
Langsam begann er in den Ereignissen jener Nacht zu versinken. Der einsame Wanderer fing an, mit leiser, monotoner Strimme zu sprechen.
Die Stunden von damals, wieviele Monate es nun auch her sein mochte, lebten erneut in ihren Gedächtnissen auf.
In Gedanken schlich er sich wieder durch die dunklen Gassen von Klai, hinaus in die Arbeiterviertel, wo die kleinen, schmutzigen Behausungen der Sklaven dicht an dicht standen. Es gab viele verschiedene Arten von Wesen, die dort wohnten, doch meistens waren es Menschen ohne Magie, wie Rahmiron. Er hatte eine Weile gebraucht, um dessen Hütte zu finden. Sie lag versteckt in einer winzigen Gasse, am äußersten Rand der Stadt.
Es war leicht, unbemerkt durch das brüchige Fenster einzusteigen und sich bis dicht an sein Opfer heranzuschleichen. Die langen Jahre der Erfahrung hatten seine natürlichen Fähigkeiten noch verbessert. Leise zog er den Dolch heraus, der jetzt in den Händen der Prinzessin lag. Vorsichtig beugte er sich herab, nahm kurz den säuerlichen Geruch des Lagers wahr, auf dem Rahmiron lag - und stach zu. Es war ein fester, genau gezielter Stoß. Er hatte gespürt, wie das Herz um den Dolch herum pulsierte und ihn zufrieden wieder herausgezogen.
Der Mörder lehnte sich nach vorne, um das Blut an der Bettdecke des Toten abzuwischen. Ein guter, leichter Auftrag, hatte er bei sich gedacht und sich schon insgeheim über das Geld, das ihn erwartete, gefreut.
Aber dann - dann hatte sich der Sklave plötzlich bewegt und wie aus dem Nichts die Kalturinok, die zweischneidige Axt, gezogen. Sein Schlag stand dem seinen in nichts nach. Dass er überlebt hatte, verdankte er nur der Schwäche, die seinen Angreifer im Tod plötzlich befiel.
Der Betrogene flüchtete blutend und schwer verletzt.
Wochen verbrachte er in einem Versteck, um die Wunde heilen zu lassen. Er erinnerte sich nur noch dunkel an diese Zeit, die von Fieberschüben und Ohnmachtsanfällen begleitet worden war. Ihm wurde immer noch übel, wenn er daran zurückdachte, an seine Schwäche und Hilflosigkeit. Unruhig fuhr er sich mit den Händen über die Narbe auf seinem Bauch.
Ein zweites Mal würde er diesen Fehler nicht begehen!
Eine Weile lang hing die Erinnerung noch wie ein greifbarer Schatten zwischen ihnen. Das Feuer flackerte unruhig.
Eine einzelne Träne rann über die Wange der Geliebten. Der Abenteurer lehnte sich gegen den Felsen.
"So. Was nun? Wollt Ihr mich jetzt töten?" Er hatte erkannt, dass sie schwach war. Ihre Liebe schwächte ihren Geist und wenn er das ausnutzte .... Innerlich lächelte er zufrieden. Die Träne hatte sie verraten. Er würde sie umbringen, wie er Rahmiron umgebracht hatte und niemand würde je von diesem unglücklichen Zwischenfall erfahren!
In den seltsamen Augen der Rächerin blitzte es auf.
Entsetzt erstarrte der Gefangene. Seine ganze Zuversicht war von einem Moment auf den anderen wie weggeblasen. Diesen Blick kannte er nur zu gut und wusste ihn zu deuten.
Die Königstochter gierte nach Blut. Seinem Blut!!!
Sie ergriff den Dolch und stand auf. "Ja, ich will Euch töten, ich WERDE EUCH töten!"
Langsam ging sie auf ihn zu, eine große, schlanke Gestalt, die sich dunkel gegen das Feuer abhob.
Unfähig sich zu bewegen, wartete er darauf, dass er sterben würde. Er betete, obwohl er die Götter schon lange nicht mehr geehrt hatte. Macht, dass es schnell vorbei ist!! Alles, nur lasst mich nicht langsam hinübergleiten!
Er wusste, wie qualvoll es war, Stück für Stück ins Nichts geschickt zu werden. Gebannt beobachtete er die Rächerin.
Sie stand eine Weile da und betrachtete ihn. Schließlich trennte sie mit einem schnellen Hieb seine Kleider der Länge nach auf. Die kühle Spitze des Dolches, dessen Herr er einst gewesen war, entblößte vorsichtig das dichte, schwarze Fell seiner Bauchdecke. Die Narbe schimmerte weißlich.
Was hatte diese Frau vor? Der Mörder konnte ein Zittern kaum unterdrücken. Kurz trafen sich ihre Blicke. Ihre Augen leuchteten nun in einem hellen Blau. Sie lächelte und beugte sich herab. Langsam, Stück für Stück, öffnete sie die alte Wunde.
Entsetzt sah er zu, wie ein dünner Faden Blut, der schnell breiter wurde, über sein Fell floss. Es suchte sich seinen Weg, umging mehrere Hautfalten, tropfte schließlich auf den Boden. Ein roter Fleck bildete sich auf dem Felsen, der immer größer wurde.
"Ihr sollt sterben, wie Rahmiron es wünschte, Raschmiel der Große." Sie strich spöttisch lächelnd mit zwei Fingern über seine Wange. Er atmete schwer. "Ihr werdet -"
Ein leises Beben des Bodens ließ sie stocken. Erschrocken sah sie sich um. Da war es wieder, diesmal stärker.
Samjahn, der Felsmann, tat etwas, was er seit zwanzigtausend Menschenjahren nicht mehr getan hatte. Er erhob sich.
Leise knacksten und knirschten seine Glieder, als die langen Arme den unförmigen Körper stützten und er sich zu voller Größe aufrichtete.
Die rechte Hand hielt zwei kleine Felsbrocken umklammert und während er sich von dem Gestein unter ihm ein Bild der Lage geben ließ, klickten sie rhytmisch zusammen. Die Stimmsteine erzeugten ein langgezogenes Geheul und Gestöhn, das die zwei Wesen zu seinen Füßen erschaudern ließ.
Samjahn hielt inne und begann dann zu sprechen. Raschmiel brauchte eine Weile, um zu verstehen, was er sagte. Der abgehackte, durch das Zusammenstoßen der Steine immer wieder unterbrochene Sprechgesang war sowohl für seine als auch für die Ohren seine Feindin ein seltsames Geräusch. "Was - wollt - Ihr? Wer - vergießt - Blut - in - meinem - Land?"
Die Prinzessin sah furchtlos zu ihm auf. Dass er sprach und sich zu verständigen wusste, machte ihn zu einem lebendigen Wesen.
Und sie war gewöhnt, über alle Lebewesen zu herrschen, ob nun mit Kopf oder ohne, ob nun aus Fleisch oder aus Stein.
"Ich bin die Erbtochter des Königs von Klai."
Stolz blickte sie das Ungetüm, das dicht vor ihr stand, an. "Klai? - Interessiert - mich - nicht. - Blutender - sprich - du." Unsicher, was er antworten sollte, kniete der Gefangene sich hin und versuchte seine Wunde zu bedecken. Vielleicht war dies seine Rettung, er durfte nur kein falsches Wort fallen lassen ....
Die Prinzessin, in ihrer Ehre verletzt, sprach für ihn: "Er ist ein Mörder. Hört nicht auf ihn."
Entsetzt starrte er sie an. Was tat sie da?! Das war seine letzte Hoffnung gewesen!!!! "Ihr ...." wollte er auffahren, aber sie zwang ihn mit einem kurzen Wink zum Schweigen.
Samjahn hatte sie beobachtet und knirschte gelangweilt. "Einzig - allein - ist - es - ein - Verbrechen - Blut - auf - meinem - Vaterfelsen - zu - vergießen. - GEHT!"
Ihr Stolz hinderte Yleia daran zu tun, was er verlangte. Auch wenn er keine Gedanken hatte, die sie lenken konnte - sie war eine Königstochter und gehorchte niemandem! Sie blieb wo sie war und zwang Raschmiel dasselbe zu tun.
"Dumme - einfältige - Wesen."
Samjahn legte sich, traurig über den Tod zweier so schöner Geschöpfe, wieder nieder. Die Knochen unter seinem Rücken knackten leise. Wären sie doch nur ein wenig klüger gewesen. Eng verband er sich mit dem Felsen, der ihn zum Leben erweckt hatte.
Eine Beschreibung der Felsmänner findet man unter "Die Wesen von Turr".
Er entspannte sich und wurde immer ruhiger. Bald würde er in jenen Wachschlaf sinken, den er sich im Laufe der Jahre zu eigen gemacht hatte.
Plötzlich stand eine dunkle Gestalt vor ihm. Erschrocken sprang er auf und zog sein Schwert. Warum hatte er sie nicht kommen gehört?!
Der Schatten zeigte keine Regung. Misstrauisch sah er sich um. Waren da noch mehr? Die letzten Reste des erlöschenden Feuers ließen kaum etwas erkennen. Immer noch angespannt konzentrierte er sich wieder auf den schwarzen Schatten vor ihm. Offenbar war sie allein. Ein weiter Mantel und eine tief ins Gesicht gezogene Kapuze bedeckten ihren Körper völlig, aber sie schien eine Elbin oder dergleichen zu sein. Was wollte sie hier, soweit in der Wildnis und noch dazu ohne Begleitung?
Leise trat sie einen Schritt nach vorne. Erst jetzt bemerkte er, wie schlank und hochgewachsen sie war. Sie überragte ihn beinahe um zwei Köpfe, und das, wo er selbst bei seinen Leuten als Riese gegolten hatte! Ein Arm streckte sich aus und entblößte eine kleine weiße Hand, die sich fordernd öffnete.
Verwirrt starrte der Abenteurer zuerst auf die Hand, dann auf den Schleier, der ihr Gesicht verhüllte. Langsam reichte er ihr sein Schwert, den Knauf voran. Fest griffen die zarten Finger zu und drehten die Waffe prüfend hin und her. Die Klinge blitzte in der Glut und ließ an einigen Stellen magische Runen aufleuchten. Stolz erfüllte ihn, der Besitzer eines so mächtigen Schwertes zu sein. Viel Arbeit hatte es ihn gekostet und Mühe. Aber es war gut geworden. Zu gut. Die Gestalt wirbelte das Schwert herum, ließ es durch die Luft sausen und -
Mit schmerzendem Rücken lehnte er am Felsen, die Schwertspitze an seiner Kehle. Er atmete laut und schnell, wütend und beschämt zugleich über seine eigene Unfähigkeit. Wie konnte er nur einer wildfremden Person mitten in der Nacht ohne auch nur einmal nachzudenken seine Waffe überlassen?! Wie oft war er schon durch seine Erfahrung gerettet worden, aber diesmal schien ihn auch der kleinste Funken Verstand verlassen zu haben. Eine der Grundregeln zu missachten! "Ein schönes Schwert, doch in so unvorsichtigen Händen keine sehr nützliche Verteidigung!" flüsterte sie mit spöttischer Stimme.
Er zischte wütend. "Oh, habe ich Euch verärgert?" Sie lachte leise und begann seine Taschen zu durchsuchen. Ein Dolch, mehrere Messer und einige Beutel voller Zauberkräuter wurden auf die andere Seite des Gluthaufens geworfen. Trotz seiner misslichen Lage kam er nicht umhin, ihre Körperbeherrschung zu bewundern. Das einzige, was sich bewegte, war ihr rechter Arm; der linke, der das Schwert hielt, blieb regungslos auf seine entblößte Kehle gerichtet. Allerdings war er davon überzeugt, dass dieser Arm bei einer falschen Bewegung schneller zustoßen konnte als ihm lieb war.
Sie hatte inzwischen alle seine Taschen abgesucht und nun glitten ihre Finger über sein Gesicht. Er konnte ihre Augen sehen, die so blau waren, dass sie schon fast wieder schwarz wirkten. Der Schleier, der den Rest ihres Gesichtes verdeckte, bewegte sich leise unter ihren Atemzügen und ihr Duft kitzelte ihm angenehm in der Nase. Sie ertastete sein Kinn, glitt über die Wangen zu den Ohren und suchte nach seiner Stirn.
"Was wollt Ihr?" keuchte der einsame Wanderer. Schon lange hatte ihn keiner mehr auf diese Art und Weise berührt, aber da war immer noch SEIN verdammtes Schwert an SEINER Kehle!
Sie antwortete nicht, aber ihre Finger schienen gefunden zu haben, wonach sie suchten. Sie lagen genau in der Mitte zwischen seinen Augen, die von den ihren immer mehr in Bann gezogen wurden. Er spürte ihren Herzschlag. Verzweifelt versuchte er den Druck auf seiner Stirn loszuwerden. Er bewegte sich, aber sofort ruckte ihr linker Arm. Die blanke Klinge ritzte seine Haut. Er hielt still, gefangen von seinem Schwert und ihrem Blick.
Der Druck auf seinen Kopf wurde stärker. Diese Augen .... Gebannt starrte er in die blauen Sterne vor ihm.
Urplötzlich zerriss ein oranger Blitz die Spannung und ein kurzer heftiger Schmerz ließ ihn aufschreien. Sie trat zurück, setzte sich neben seine Waffen und sah zu, wie er zu Boden sank, die Hände an die Stirn gepresst.
"Ich hoffe, es tut weh."
Verwirrt und vor Schmerzen immer noch halb betäubt sah er auf. Ein kleiner roter Fleck pulsierte zwischen seinen Augen. Wer war diese Lady, die ihn so ohne weiteres entwaffnet hatte, die ihn, der jahrelang nicht einmal das Wort Schmerz gekannt hatte, laut aufschreien ließ, die ihn übertölpelt hatte wie einen dummen Ork?!
Wütend erhob er sich, stolperte allerdings über eine Mantelfalte und wäre beinahe in das Feuer, das sie inzwischen wieder entzündet hatte, gestürzt.
"WER SEID IHR?"
"Brüllt nicht so. Es ist ohnehin niemand da außer mir, der Euch hören könnte. Und ich habe gute Ohren."
Wie konnte diese Person nur so ruhig bleiben?! Wenn sie dachte, er wäre waffenlos, so täuschte sie sich! Wozu hatte er jahrelang Magie studiert! Er hob den Arm und sammelte seine Kräfte. Gleich würde er wieder sein eigener Herr sein.
Aber etwas stimmte nicht. Sie lachte wieder auf diese leise seltsame Art, wie sie es schon einmal getan hatte. "Gebt Euch keine Mühe. Oder glaubt Ihr etwa, der kleine Zauber vorhin diente nur dazu, Euch Schmerzen zuzufügen? Zugegeben allerdings, ein angenehmer Nebeneffekt, findet Ihr nicht?"
Er starrte sie entsetzt an. Diese Frau hatte ihn nicht nur völlig entwaffnet, sondern auch noch seine Magie gebannt! Er war ihr auf Gedeih und Verderben ausgeliefert!
"Was wollt Ihr?" Die Wut ließ ihn erbeben.
"Setzt Euch." Sein Körper folgte dem leisen Wink der schlanken Hände. Sie griff nach dem Dolch, der neben ihr lag.
"Ein schönes Stück." Ihr Finger glitt die glänzende Schneide entlang und die Drachen auf dem Griff erglühten im Feuerschein.
"Selbstgeschmiedet?"
Widerwillig nickte er. "Ihr versteht etwas von der Metallverarbeitung." Sie sah ihn an. "Der Dolch und das Schwert - beides sind hervorragende Waffen - Mordwaffen."
Sie betonte das letzte Wort auf eine Art und Weise, die ihn aufhorchen ließ.
"Was wollt Ihr damit sagen?"
"Wisst Ihr das denn nicht?" Ihre Stimme war beißend vor Spott.
Er starrte sie an.
"Worauf wollt Ihr hinaus?"
"Vor vielen Tagen bei Sonnenaufgang habt Ihr einen Auftrag zu Ende gebracht. Einen Eurer - wie soll ich sagen - Spezialaufträge? Wisst Ihr nicht mehr, um wen es sich damals gehandelt hat?"
Der einsame Wanderer schwieg.
"Warum sagt Ihr nichts?! Ist der große Raschmiel auf einmal sprachlos geworden?"
Bei der Erwähnung seines Namens zuckte er zusammen. Sie lachte kalt. "Oh ja, ich weiß, wer Ihr seid, ich weiß, was Ihr tut."
Langsam stand sie auf und näherte sich ihm. "Ihr seid der berühmteste Auftragskiller, den ganz Turr je gesehen hat. Ihr habt so viele Wesen auf dem Gewissen, dass nicht einmal Ihr selbst sie noch zu zählen vermögt! Ihr reist von einem Ort zum anderen, wo Geld und Hass noch etwas bedeuten!" Sie holte tief Luft. Ein eisiges Lächeln trat in ihre Augen. Etwas ruhiger fuhr sie fort: "Vielleicht erinnert Ihr Euch nicht mehr an alle Morde, aber an einen solltet Ihr Euch doch noch erinnern. Wisst Ihr, welchen ich meine?"
Innerlich vor Scham und Wut bis zum Zerreißen gespannt, folgte er ihr mit seinen Blicken, als sie sich wieder auf der anderen Seite des Feuers niederließ.
Er würde sie töten, er würde sich von ihrem Bann befreien und sich für die Schande, die sie ihm antat, rächen!
"Nein, natürlich wisst Ihr nicht, wen ich meine. Aber wenn ich seinen Namen sage, so wird dies wohl einige unangenehme Erinnerungen wecken ... Seid Ihr denn gar nicht neugierig?"
Der Mörder schwieg hartnäckig. Er würde kein Wort sagen. Nicht, solange sie es verlangte!
"Rahmiron."
"Wer?!" Erschrocken sprang er auf.
Sie lachte laut heraus. Aber es war ein Lachen, das ihm Angst machte. "Sieh an, Ihr habt offenbar doch ein besseres Gedächtnis als erwartet!"
Der Wanderer ließ sich, zornig über die Blöße, die er sich gegeben hatte und den offensichtlichen Spott der Frau, wieder auf die Felsen sinken. Was bildete sie sich nur ein! "Ja, Rahmiron war schwer zu töten, schwer für einen Sklaven. Das dachtet Ihr doch, nicht wahr?"
"Warum fragt Ihr noch?" Er spürte genau, wie die Fremde in seinem Gedächtnis wühlte, tief verborgene, längst vergessene Dinge zum Vorschein brachte. "Mit Euren Fähigkeiten seid Ihr kein gewöhnliches Wesen! Was habt Ihr mit so einem elenden Sklaven zu schaffen?"
Zornig und unfähig, gegen diese Frau auch nur das geringstes zu unternehmen, trat er gegen einen Kiesel, der vor ihm lag.
Als sie wieder sprach, klang ihre Stimme müde.
"Elender Sklave? So denkt Ihr also? Dabei hätte Euch dieser 'elende Sklave' doch beinahe getötet." Sie betrachtete ihn traurig.
"Ihr wollt wissen, was ich mit ihm zu tun hatte? Nun gut. Wahrscheinlich habt Ihr sogar ein Recht es zu erfahren. Ich war seine Geliebte."
Bei diesen Worten löste sie den Schleier und ließ ihn das ganze Ausmaß ihrer Worte erkennen. Dichtes schwarzes Haar fiel ihr in die Stirn, aber auch es konnte die Tätowierungen um ihre Augen und auf ihren Wangenknochen nicht verbergen.
Raschmiel starrte sie an. Die goldbraunen Tupfer zeugten von allerhöchster Geburt. Nur Königskinder durften diese Farbe tragen. Sie stammte eindeutig aus dem Hause der Mindul, der Herrscher von Klai und sie .... "Ihr wart seine ...."
"Geliebte. Sagt es ruhig." Sie griff wieder nach dem Dolch und betrachtete ihn. "Habt Ihr ihn damit getötet?"
Stumm nickte er.
"Euer Stoß war gut. Direkt ins Herz. Ihr habt ihn überrascht, nehme ich an. Erzählt mir, was damals passiert ist!"
Raschmiel schüttelte den Kopf. "Wozu? Ihr wisst ohnehin schon alles!"
Wütend blitzten ihre seltsamen Augen auf. "Was denkt Ihr, warum ich hier bin?! Glaubt Ihr etwa, Ihr könntet diesen Ort je wieder lebendig verlassen?! Ihr werdet sterben, das verspreche ich Euch! Aber noch bestimmt Ihr, wann ...."
Der Druck in seinem Kopf war urplötzlich wieder da und begann sich in kleinen, heftigen Stichen auszubreiten. "Wartet!" keuchte er, bemüht, sich die Schmerzen nicht anmerken zu lassen. Sie lächelte zufrieden. Er atmete tief durch und schloß die Augen. Er erinnerte sich nicht gerne an seine Morde. Ein einträgliches Geschäft, aber seine Auftraggeber forderten Vergessen und er kam ihren Ansprüchen gerne nach.
Langsam begann er in den Ereignissen jener Nacht zu versinken. Der einsame Wanderer fing an, mit leiser, monotoner Strimme zu sprechen.
Die Stunden von damals, wieviele Monate es nun auch her sein mochte, lebten erneut in ihren Gedächtnissen auf.
In Gedanken schlich er sich wieder durch die dunklen Gassen von Klai, hinaus in die Arbeiterviertel, wo die kleinen, schmutzigen Behausungen der Sklaven dicht an dicht standen. Es gab viele verschiedene Arten von Wesen, die dort wohnten, doch meistens waren es Menschen ohne Magie, wie Rahmiron. Er hatte eine Weile gebraucht, um dessen Hütte zu finden. Sie lag versteckt in einer winzigen Gasse, am äußersten Rand der Stadt.
Es war leicht, unbemerkt durch das brüchige Fenster einzusteigen und sich bis dicht an sein Opfer heranzuschleichen. Die langen Jahre der Erfahrung hatten seine natürlichen Fähigkeiten noch verbessert. Leise zog er den Dolch heraus, der jetzt in den Händen der Prinzessin lag. Vorsichtig beugte er sich herab, nahm kurz den säuerlichen Geruch des Lagers wahr, auf dem Rahmiron lag - und stach zu. Es war ein fester, genau gezielter Stoß. Er hatte gespürt, wie das Herz um den Dolch herum pulsierte und ihn zufrieden wieder herausgezogen.
Der Mörder lehnte sich nach vorne, um das Blut an der Bettdecke des Toten abzuwischen. Ein guter, leichter Auftrag, hatte er bei sich gedacht und sich schon insgeheim über das Geld, das ihn erwartete, gefreut.
Aber dann - dann hatte sich der Sklave plötzlich bewegt und wie aus dem Nichts die Kalturinok, die zweischneidige Axt, gezogen. Sein Schlag stand dem seinen in nichts nach. Dass er überlebt hatte, verdankte er nur der Schwäche, die seinen Angreifer im Tod plötzlich befiel.
Der Betrogene flüchtete blutend und schwer verletzt.
Wochen verbrachte er in einem Versteck, um die Wunde heilen zu lassen. Er erinnerte sich nur noch dunkel an diese Zeit, die von Fieberschüben und Ohnmachtsanfällen begleitet worden war. Ihm wurde immer noch übel, wenn er daran zurückdachte, an seine Schwäche und Hilflosigkeit. Unruhig fuhr er sich mit den Händen über die Narbe auf seinem Bauch.
Ein zweites Mal würde er diesen Fehler nicht begehen!
Eine Weile lang hing die Erinnerung noch wie ein greifbarer Schatten zwischen ihnen. Das Feuer flackerte unruhig.
Eine einzelne Träne rann über die Wange der Geliebten. Der Abenteurer lehnte sich gegen den Felsen.
"So. Was nun? Wollt Ihr mich jetzt töten?" Er hatte erkannt, dass sie schwach war. Ihre Liebe schwächte ihren Geist und wenn er das ausnutzte .... Innerlich lächelte er zufrieden. Die Träne hatte sie verraten. Er würde sie umbringen, wie er Rahmiron umgebracht hatte und niemand würde je von diesem unglücklichen Zwischenfall erfahren!
In den seltsamen Augen der Rächerin blitzte es auf.
Entsetzt erstarrte der Gefangene. Seine ganze Zuversicht war von einem Moment auf den anderen wie weggeblasen. Diesen Blick kannte er nur zu gut und wusste ihn zu deuten.
Die Königstochter gierte nach Blut. Seinem Blut!!!
Sie ergriff den Dolch und stand auf. "Ja, ich will Euch töten, ich WERDE EUCH töten!"
Langsam ging sie auf ihn zu, eine große, schlanke Gestalt, die sich dunkel gegen das Feuer abhob.
Unfähig sich zu bewegen, wartete er darauf, dass er sterben würde. Er betete, obwohl er die Götter schon lange nicht mehr geehrt hatte. Macht, dass es schnell vorbei ist!! Alles, nur lasst mich nicht langsam hinübergleiten!
Er wusste, wie qualvoll es war, Stück für Stück ins Nichts geschickt zu werden. Gebannt beobachtete er die Rächerin.
Sie stand eine Weile da und betrachtete ihn. Schließlich trennte sie mit einem schnellen Hieb seine Kleider der Länge nach auf. Die kühle Spitze des Dolches, dessen Herr er einst gewesen war, entblößte vorsichtig das dichte, schwarze Fell seiner Bauchdecke. Die Narbe schimmerte weißlich.
Was hatte diese Frau vor? Der Mörder konnte ein Zittern kaum unterdrücken. Kurz trafen sich ihre Blicke. Ihre Augen leuchteten nun in einem hellen Blau. Sie lächelte und beugte sich herab. Langsam, Stück für Stück, öffnete sie die alte Wunde.
Entsetzt sah er zu, wie ein dünner Faden Blut, der schnell breiter wurde, über sein Fell floss. Es suchte sich seinen Weg, umging mehrere Hautfalten, tropfte schließlich auf den Boden. Ein roter Fleck bildete sich auf dem Felsen, der immer größer wurde.
"Ihr sollt sterben, wie Rahmiron es wünschte, Raschmiel der Große." Sie strich spöttisch lächelnd mit zwei Fingern über seine Wange. Er atmete schwer. "Ihr werdet -"
Ein leises Beben des Bodens ließ sie stocken. Erschrocken sah sie sich um. Da war es wieder, diesmal stärker.
Samjahn, der Felsmann, tat etwas, was er seit zwanzigtausend Menschenjahren nicht mehr getan hatte. Er erhob sich.
Leise knacksten und knirschten seine Glieder, als die langen Arme den unförmigen Körper stützten und er sich zu voller Größe aufrichtete.
Die rechte Hand hielt zwei kleine Felsbrocken umklammert und während er sich von dem Gestein unter ihm ein Bild der Lage geben ließ, klickten sie rhytmisch zusammen. Die Stimmsteine erzeugten ein langgezogenes Geheul und Gestöhn, das die zwei Wesen zu seinen Füßen erschaudern ließ.
Samjahn hielt inne und begann dann zu sprechen. Raschmiel brauchte eine Weile, um zu verstehen, was er sagte. Der abgehackte, durch das Zusammenstoßen der Steine immer wieder unterbrochene Sprechgesang war sowohl für seine als auch für die Ohren seine Feindin ein seltsames Geräusch. "Was - wollt - Ihr? Wer - vergießt - Blut - in - meinem - Land?"
Die Prinzessin sah furchtlos zu ihm auf. Dass er sprach und sich zu verständigen wusste, machte ihn zu einem lebendigen Wesen.
Und sie war gewöhnt, über alle Lebewesen zu herrschen, ob nun mit Kopf oder ohne, ob nun aus Fleisch oder aus Stein.
"Ich bin die Erbtochter des Königs von Klai."
Stolz blickte sie das Ungetüm, das dicht vor ihr stand, an. "Klai? - Interessiert - mich - nicht. - Blutender - sprich - du." Unsicher, was er antworten sollte, kniete der Gefangene sich hin und versuchte seine Wunde zu bedecken. Vielleicht war dies seine Rettung, er durfte nur kein falsches Wort fallen lassen ....
Die Prinzessin, in ihrer Ehre verletzt, sprach für ihn: "Er ist ein Mörder. Hört nicht auf ihn."
Entsetzt starrte er sie an. Was tat sie da?! Das war seine letzte Hoffnung gewesen!!!! "Ihr ...." wollte er auffahren, aber sie zwang ihn mit einem kurzen Wink zum Schweigen.
Samjahn hatte sie beobachtet und knirschte gelangweilt. "Einzig - allein - ist - es - ein - Verbrechen - Blut - auf - meinem - Vaterfelsen - zu - vergießen. - GEHT!"
Ihr Stolz hinderte Yleia daran zu tun, was er verlangte. Auch wenn er keine Gedanken hatte, die sie lenken konnte - sie war eine Königstochter und gehorchte niemandem! Sie blieb wo sie war und zwang Raschmiel dasselbe zu tun.
"Dumme - einfältige - Wesen."
Samjahn legte sich, traurig über den Tod zweier so schöner Geschöpfe, wieder nieder. Die Knochen unter seinem Rücken knackten leise. Wären sie doch nur ein wenig klüger gewesen. Eng verband er sich mit dem Felsen, der ihn zum Leben erweckt hatte.
Eine Beschreibung der Felsmänner findet man unter "Die Wesen von Turr".