Die Adiperan

In der großen dunklen Halle, deren einzige Lichtquelle die kleinen schmalen Fenster dicht unter der Decke waren, herrschte ungewöhnlicherweise vollkommene Stille.
Ronnac, der Meister der Adiperan, dem Kriegervolke aus den grauen Landen, hatte sich erhoben und horchte in das Schweigen, das er befohlen hatte, hinein. Etwas hatte die große schwarze Gestalt beunruhigt. Sein stachelbewehrter Schwanz schlug nervös hin und her. Er war nicht umsonst zum Anführer der Clans gewählt worden, schließlich war stets er der erste gewesen, der bei ihren Streifzügen die Gefahr gewittert, den Gegner entdeckt, angegriffen und - bis auf wenige Male - auch besiegt hatte. Viele lange Narben und Schrammen zogen sich über seinen silbrigen Panzer und die kleinen Stellen freier schwärzlicher Haut auf seiner Brust. Die langen Krallen an den bemerkenswert schmalen Fingern rieben sich unruhig aneinander. Pfeifend sog er die Luft durch die Nasenlöcher ein.




















'Herr?' ertönte von etwas unterhalb seines Thrones eine schüchterne Stimme.

  'Schweig!' brummte er. Seine langen Fangzähne blitzten auf und seine roten Augen durchsuchten die Halle systematisch nach etwas Ungewöhnlichem. Die Dunkelheit störte ihn nicht, im Gegenteil, er sah in diesem Dämmerlicht fast mehr als bei hellem Sonnenschein.

Alles war so wie immer. Die Überreste der Mahlzeiten lagen noch auf den Tischen verstreut, die Waffen hingen noch wie vorhin in Griffweite hinter den Stühlen der Höflinge, die unruhig auf ihren Hockern hin und herrutschten, und in der Mitte des Saales dampfte noch das Blut von dem Schaukampf, der eben gerade stattgefunden hatte. Ja, alles war wie immer. Was beunruhigte ihn also dann?! Sein natürlicher Panzer knirschte leise, als er den Kopf drehte.

'Murak!'

Ein grosser Adiper mit langem Schwanz und fast bronzenem Schutzpanzer erhob sich schweigend.

'Sieh nach, ob bei den Wächtern alles in Ordnung ist.'

Aber ehe der Angesprochene auch nur einen Schritt machen konnte, schwang die Tür weit auf und das Licht der Sonne flutete herein.

Der Schatten einer zierlichen weiblichen Gestalt wurde sichtbar. Verwundert sahen die meisten auf. Frauen, vor allem so kleine und verletzliche, hatten in den Häusern zu bleiben, die Welt war viel zu gefährlich für dieses so lächerlich schwache Geschlecht!

Als sie jedoch langsam und würdevoll auf den Meister zuschritt, wurde ihnen klar, dass es sich bei ihr um keine aus ihrer Rasse handelte, und weshalb die Wächter sie nicht aufgehalten hatten.

Sie trug keinerlei Kleidung, um ihren nackten menschlichen Körper zu verbergen, und aus ihren Armen wuchsen lange schwarze Schwungfedern, die leise raschelten, wenn sie sich bewegte.
Ronnac knurrte verwundert.

'Was hat eine Rabenfrau hier in dieser Halle zu suchen? Weiß sie nicht, wie gefährlich das für sie ist?'

Mit klarer, stolzer Stimme antwortete sie: 'Ich bin mir sehr wohl der Gefahr bewusst, die ein Volk wie das eure birgt. Aber gerade wegen eurer Fähigkeiten im Kampf und eurer Stärke schickt mich die Älteste.' Sie hielt inne und ließ kurz ihre Worte wirken, ehe sie fortfuhr. 'Ich komme mit einer Bitte: Ihr müsst uns helfen.'

'Wir müssen euch helfen?! Und was brächte uns dazu, einen Haufen Frauen mit Federn in irgendeiner Weise zu unterstützen?!' Er lachte laut, und sein Gefolge stimmte mit ein.

Trotz der Beleidigung wartete die Fremde gelassen, ignorierte den Gestank und das unzivilisierte Verhalten der Krieger, bis es wieder einigermaßen still geworden war in der steineren Halle. Etwas anderes hatte sie nicht erwartet und war darauf vorbereitet. Als sie wieder sprach, lächelte sie spöttisch.

'Vielleicht weil ihr dereinst ein Versprechen gegeben habt, als eine meiner Schwestern so freundlch war, einen jungen Adiperan von dem Berg zu retten, auf den er sich verstiegen hatte?'

Das Grinsen auf dem Gesicht Ronnacs verschwand schlagartig. Obwohl seine Fangzähne nun unter der schwarzen Haut seiner Lippen verborgen waren, wirkte er kein bisschen freundlicher, da seine Augen nun einen Rotton angenommen hatten, der dem Höllenfeuer zur Genüge Konkurrenz hätte machen können - wenn die Adiperan an dergleichen geglaubt hätten.

Die grauen Lande war ein Land voller Ungeheuer und Gefahren, nur wer sich selbst zu verteidigen wusste und gut zu kämpfen verstand, überlebte hier.

Frauen zählten so gut wie nichts und zu anderen Völkern hatte man kaum Kontakt, da es keiner wagte, sich durch die dichten Wälder bis zu ihren Städten hindurchzukämpfen. Vor der ganzen Mannschaft seiner Kameraden derart bloßgestellt zu werden, entfachte seinen Zorn.


'Wisst ihr, was ihr da sagt?' fauchte er.

'Die Wahrheit.'


Der eiskalte Ton, den die Rabenfrau nun anschlug, zeigte seine Wirkung. Wer dergestalt Mut zeigte und direkt auf sein Ziel zuging, konnte sich bei dem Kriegervolk Respekt verschaffen.

'Gut. Gut.' Ronnac sah sie immer noch wütend an. 'Wie nennt ihr euch?'

'Ich bin Sanara,und wer seid ihr?'

Der Meister schritt langsam die Stufen von seinem Thron hinab. Das rote Tuch, das er um die Hüften trug, das traditonelle Pak, passte sich perfekt seinen geschmeidigen Bewegungen an.

'Ich bin Ronnac, Meister der Adiperan, aber ob mich meine Leute noch länger akzeptieren werden, nachdem ihr mein kleines Geheimnis so offen zur Schau gestellt habt, weiß ich nicht. Wisst ihr, was für eine Schande es bedeutet, von einer FRAU gerettet zu werden? Überhaupt gerettet zu werden?!'

Er sah ihr direkt in die Augen. Inzwischen standen sie keine zwei Meter Menschenmaß mehr voneinander entfernt, sie klein und zierlich, mit heller Haut und hellen Haaren, die in einem guten Kontrast zu ihren schwarzen Schwingen standen, er gross, drahtig, die Muskeln unter seinem silbernen Hornpanzer verborgen und eine schwere bronzene Axt am Gürtel.

'Ich weiss es. Aber vielleicht werden eure Kameraden' - vielsagend drehte sie den Kopf - 'ein wenig anders denken, wenn ich euch daran erinnere, dass ihr nicht der einzige wart, der gerettet wurde.' Obwohl ohnehin ein jeder alles verstand, aufgrund der gespannten Stille die immer noch herrschte, sprach sie nun noch ein wenig lauter.

'Wenn die Erinnerungen, die mir mitgegeben wurden, der Wahrheit entsprechen, so waren damals auch euer Vater und der Sohn des damaligen Meisters mit dabei. Sie saßen genauso auswegslos fest wie ihr, aber der einzige, der einen Freitod im Gegensatz zum langsamen, schandhaften Verhungern in Betracht zog, wart ihr. Wärt ihr nicht über den Rand gesprungen und dabei beinahe auf meine Schwester gestürzt, säßet ihr alle wohl noch immer da oben auf eurem Felsen.'

Beifälliges Gemurmel erhob sich und einige zogen ihre Äxte und klopften damit auf den Tisch, der, obwohl aus Stein, schon längst ziemlich ramponiert war. Die Blutflecken der Mahlzeiten wurden schon aus rein ästhetischen Gründen nicht weggewischt. Ronnac lächelte, sofern sein Gesicht lächeln konnte. 'Ihr versteht es zu verhandeln, Sanara, selbst wenn ihr eine Frau seid, und eine schwache obendrein. Also, was ist euer Problem? Erzählt! Ich werde meines Versprechens gedenken.'

Als sie anfing zu reden, lauschte der ganze Saal wieder so ehrfürchtig, wie er es gewöhnlich tat, wenn etwas von Bedeutung besprochen wurde.



Missmutig stapfte Dornac durch den Wald. Warum musste der Meister ausgerechnet ihn dazu auserwählen, zum Tempel der Tauperlen zu gehen und diese idiotischen Menschen zu verscheuchen?! Das war keine sehr ehrenvolle Aufgabe, er wäre sehr viel lieber Drachen jagen gegangen oder hätte geholfen, den Riesen aus dem Süden des Landes zu vertreiben. DAS waren würdige Gegner,aber doch nicht so ein Haufen dahergelaufener Menschen!!

Er hatte schon soviele Wesen siegreich bekämpft, seine Anwesenheit war woanders weitaus mehr vonnöten. Und nun durfte er sich mit derlei Kleingetier herumschlagen! Wütend versetzte er dem Troll, der plötzlich auf den Weg sprang, einen Hieb mit seiner zweischneidigen Axt, der ihn zurück ins Gebüsch schleuderte und setzte unbeeindruckt seinen Weg fort.

Nun, es würde wohl noch ein Weile dauern, bis er in den Bergen von Dikar ankam, noch befand er sich auf eigenem Gebiet und die grauen Lande waren groß. Vielleicht hatte sich das Problem schon von selbst gelöst, wenn er dort ankam und er konnte noch rechtzeitig zur Drachenjagd wieder in die Hauptstadt zurückkehren.

Seine Freunde hatten ihn ohnehin schon ausgelacht, als die Nachricht von Ronnac gekommen war; würde er die Jagd verpassen, wäre es wohl endgültig vorbei mit seinem Ansehen und seiner Ehre, die er sich so mühevoll erworben hatte.



Zu einem ähnlichen Zeitpunkt, in einem Land, das nicht weit von der Stadt der Adiperan lag und von deren Wäldern nur durch die Mulgra, den großen Fluss aus dem Norden getrennt wurde, fluchte ein kleines Wesen laut. 'Ich will nicht, ich will nicht, ich will nicht!'


Wütend starrte der junge Hyle auf seine Gefährten. Die Flammen auf seinem Kopf flackerten rot und seine Haut gühte, so dass sich das dünne Metall seiner Kleidung knisternd bog.

Seufzend sah Sirkis-Ra, der Anführer des Trupps auf ihn hinunter. 'Na-Nù,wie oft noch!! DU wolltest auf diese Expedition mitkommen, DU wolltest unbedingt einmal in die Minen, und zu guter Letzt, DU wolltest dich ausgerechnet unserer Gruppe anschliessen, obwohl wir nur nach Sinhall gehen, wo eh schon fast kein Erz mehr zu holen ist. Also wirst DU wohl oder übel auch DEINEN Teil zu der Arbeit beitragen, und die Essenvorräte tragen!!!'

Es war ein seltsames Bild, wie die beiden Feuerwesen dort mitten in der heimatlichen Steinwüste standen, der eine groß, stark, mit ruhig glimmenden Feuersträhnen auf seinem Kopf, der andere merklich jünger,sichtlich erregt, und mit einem metallisch schimmernden Bündel vor sich auf dem Boden.

'Na-Nú, du bist nun wirklich alt genug, um zu wissen, was du tust! Du setzt zwar immer noch das Bett in Brand, weil du nicht ruhig auf einem Fleck schlafen kannst, aber nach dem Gesetz bist du volljährig, also nimm endlich dein verdammtes Bündel und komm! Ich hatte vor, das ganze so schnell wie möglich zu erledigen, aber mit dir brauchen wir nicht nur ein paar Wochen, sondern ein paar Jahre! Wenn du so weiter machst, kannst du ja sehen, wie du wieder zurück findest!' Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und setzte sich wieder an die Spitze der Gruppe. Grummelnd folgte Na-Nú Sirkis-Ra.Seine Gefährten, allesamt erfahrene Erzsammler, würdigten ihn kaum eines Blickes. Sollte der junge Tunichtgut doch sehen, wie weit er mit seinem rebellischen Gehabe kam!



Dieser Text ist die Rohfassung eines Auszugs aus einem Roman, an dem Sofia zusammen mit ihrem Schreibfreund Andreas gearbeitet hat.