Phönixkind

Die junge Rabenmutter streichelte vorsichtig über die raue Schale des Eis, das zwischen ihren bloßen Füßen lag.
Die tiefschwarzen Federn ihrer Schwingen raschelten leise und glänzten im Feuerschein. Ihr nackter Frauenkörper schimmerte wie mattes Gold unter den dunklen Haaren, die ihr seidig über den Rücken flossen.

Bald würde ihr Sohn schlüpfen. Das erste Kind in der Gemeinschaft seit vielen Mondumläufen .....

Innerlich zitterte sie bei dem Gedanken daran, was ihre Schwestern wohl sagen würden, wenn sie sahen, dass sie es nicht alleine gezeugt hatte.

Es war verpönt, Verbindung mit anderen Arten aufzunehmen, wenn nicht eine Notlage sie dazu zwang. Die Rabenfrauen waren ein stolzes Volk, verborgen hoch in den Bergen und ließen sich selten herab, mit Wesen außerhalb ihrer Gemeinschaft zu sprechen. Bisweilen sah man sie einsam durch die Lüfte gleiten, auf ihren scheinbar riesigen schwarzen Flügeln, schön wie die Morgenröte.

Auch sie war geflogen, hatte die Arme von sich gestreckt und den Wind genossen.

Langsam versank sie in der Erinnerung, während ihre Hände weiter über das Ei streichelten.

An jenem denkwürdigen Morgen war sie gelandet und hatte sich auf einen der breiten Felsvorsprünge gestellt, um mit offenen Händen die aufgehende Sonne zu begrüßen. Versunken in deren Anblick hatte sie die Gestalt, die sich ihr vorsichtig von hinten näherte, erst im letzten Augenblick bemerkt.

Ein Sprung in die Tiefe hatte sie gerettet, sie schwebte wieder frei auf breiten Schwingen über dem Abgrund.

Aber zu ihrer Überraschung war der fremde Mensch ihr gefolgt und verwandelte sich im Flug in einen großen schillernden Vogel.

Ihr anfänglicher Schreck war Neugierde gewichen und voll Staunen hatte sie die fremde Kreatur beobachtet.

Gemeinsam waren sie wieder gelandet und die Rabenfrau hatte gesehen, wie aus dem Phönix wieder ein menschliches Wesen wurde. Seine großen dunklen Augen hatten sie voll Erstaunen betrachtet. Er sprach leise, als er sie fragte: 'Wer seid Ihr?'

'Farkal.'

Die Rabenfrau beugte sich nun dicht über das Ei und umarmte es, traurig und erregt von der Erinnerung.

'Was seid Ihr?' So ein Wesen hatte sie noch nie erblickt.

Beide waren sie jung und unerfahren, begierig Neues zu sehen und zugleich ängstlich, allzuviel davon zu erfahren.

'Ich bin Sa-is, ein Phönixmensch ....'

Von diesem Volk hatte sie schon gehört. Menschlich und nur für kurze Zeit fähig, sich in einen Göttervogel ohne dessen magische Kräfte zu verwandeln, zählten sie zu den schwächsten und scheuesten Kreaturen Turrs.

'Was ist das?' Sie zupfte scheu an den leichten Hosen, die er trug. Bisweilen hatte die oberste Rabenfrau ein Kleid an, aber so etwas hatte sie noch nie gesehen.

Er lächelte.

'Kleidung. Eine Hose. Wieso habt Ihr Flügel? Könnt Ihr euch nicht richtig verwandeln?'

Sie kicherte leise. 'Aber nein! Ich bin eine Rabenfrau!' Der alte Stolz erwachte in ihr, als sie ihn ansah. Beide waren sie noch jung, kaum dem Kindesalter entwachsen und doch schon reif und begierig, das Erwachsensein zu erkunden. Und dennoch war sie die Stärkere .....

Das Ei wurde nun völlig von den Schwingen seiner Mutter verdeckt, die es zitternd wärmte.

Beide stammten sie aus Völkern, die sich nicht über den Verkehr der Geschlechter zu vermehren pflegten, und doch hatten sie sich an diesem Morgen im Schein der aufgehenden Sonne geliebt.

Ehe es Mittag wurde, hatten sie sich wieder getrennt und seitdem hatten sich ihre Wege nie wieder gekreuzt. Die Berge von Dikar waren nicht das Gebiet der Phönixmenschen und Farkal würde wohl nie erfahren, was Sa-is hierher geführt hatte und woher er gekommen war.

Langsam begannen in dem Ei Risse aufzuscheinen.

Obwohl es ihr schwerfiel, verschwieg sie der Gemeinschaft, was passiert war und nur wenige Tage nach jenem verhängnisvollen Morgen hatte sich ihr Bauch begonnen zu verhärten. Die Schwestern hatten dieses Ereignis verwundert aber erfreut begrüßt. Die Graue, Älteste der Gemeinschaft mit ihren längst verblassten Schwingen, hatte sie in die Geheimnisse der Mutterwerdung eingeweiht und so saß sie jetzt hier.

Seit drei Tagen hatte sie nichts zu sich genommen, weder Nahrung noch Getränk, hatte nur dagesessen und auf ihr Ei gestarrt, wie es der Brauch verlangte.

Vorsichtig löste sich die oberste Schale ab und wie in Hypnose schob Farkal sie zur Seite, brach Stück für Stück ab und hob ihren Sohn heraus.

Seine Schwingen, noch verklebt von der Geburt, glänzten rotgolden. Sie lächelte.

'Phönixkind.'

Er zappelte etwas, als ihre Hände ihn schützend an ihre Brust drückten. Langsam trug sie ihn in die große Versammlungshalle, wo schon die ganze Gemeinschaft wartete.

Das Schweigen, das wie fast immer herrschte und das sie für gewöhnlich genoss, war nun eisig. Die Augen ihrer Schwestern starrten sie kalt an.

Dennoch hob die Graue die Arme für den Ritus. Widerwillig folgte die Gemeinschaft ihrer Führerin, deren Haare weiß glänzten und deren Körper trotz ihres hohen Alters immer noch so straff war wie in Jugendtagen. Aber als die Stelle kam, an der das Neugeschlüpfte für gewöhnlich in der Gemeinschaft willkommen geheißen wurde, schwieg sie und sah Mutter und Sohn mit gütigen Augen an.

'Ihr wisst, dass Ihr nicht bleiben könnt. Ich gebe euch Kleidung und ich gebe euch Rat, aber mehr vermag ich nicht zu tun. Die Gemeinschaft hat beschlossen.'

Schweigend senkte Farkal den Kopf. Ihr Sohn lachte in ihren Armen.

Es würde schwer werden, die Schwesternschaft, die so oft ohne jedes Wort ganze Welten miteinander teilte, zu verlassen. Aber für ihr Kind würde sie es tun.

'Phönixkind.'

Mit einem Lächeln verließ sie ihre Schwestern, die stolzen Herrinnen der Lüfte.



I saw you born
I saw you die
you went away
you came back
to die for a folk
which didn't respect you
which didn't want you
which finally banned you
I can not understand
No, I can not
But I liked you and you're so wonderful
PHÖNIXKIND